Nichts Neues?

Nichts Neues?

In der Tat. Entgegen unserer Ankündigung ist seit Wochen in dieser Rubrik nichts mehr erschienen. Der letzte Text behandelte die Frage, was das Wirtschaftsstrafrecht vom Love-Parade-Verfahren lernen kann, und er stammt vom 15.3.2019. Der Grund für diese Krise in unserer noch jungen Karriere als Kolumnisten in eigener Sache ist leicht zu benennen:

zu viel Neues!

Denn neben unserer Tätigkeit als Autoren, Lektoren, Herausgeber und Verleger in Personalunion sind wir bekanntlich (oder zumindest erkennbar) Strafverteidiger im Wirtschaftsstrafrecht und im Steuerstrafrecht. Und hier hat sich in den ersten Monaten des Jahres 2019 so viel getan und in unserer Kanzlei sind so viele neue Mandate hinzugekommen, zumeist verbunden mit erheblichem Arbeitsaufwand, dass wir weder hinreichend Zeit noch Ruhe finden konnten, um den ehrgeizigen 2-Wochen-Rhythmus, den wir uns selbst verordnet hatten, einzuhalten.

Ab jetzt geht es alle vier Wochen weiter. Der nächste Beitrag erscheint also am 25. Mai.

Eines ist aber doch anzumerken und von Bedeutung für das Wirtschaftsstrafrecht unter Steuerstrafrecht insgesamt:

ein großer Teil dessen, was uns im Moment dermaßen in Atem hält, kann als Wirtschaftsstrafverfahren oder Steuerstrafverfahren einer neuen Art bezeichnet werden, deren Entwicklung sich in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten zwar abgezeichnet hat, die in dieser Form jedoch bisher nicht dagewesen ist und künftig auf Fachtagungen, auch und vor allem im Dialog mit Richtern, Staatsanwälten und Steuerfahndern, diskutiert werden sollte.

Gemeint ist eine Art Paradigmenwechsel im Sinne einer Verlagerung von der Primärrechtsordnung, also beispielsweise dem Sozialrecht oder dem Steuerrecht, hin zur Sekundärrechtsordnung, also dem Strafrecht. Wir werden darauf in den nächsten Berichten an dieser Stelle noch mehrfach zurückkommen. Hier nur so viel: seit jeher wird in allen Kommentaren und Lehrbüchern, zumeist ganz vorne unter „allgemeine Grundsätze“ oder „Wesen des Strafrechts“ oder ähnlichen Überschriften die Ultima-Ratio-Funktion des Strafrechts betont. Mit Strafe gedroht oder gar gestraft werden soll erst, wenn der Rechtsverstoß so offensichtlich und so unerträglich ist, dass die eigenen Mittel der Primärrechtsordnungen nicht mehr ausreichen, weil sie nicht als adäquate Reaktion erscheinen oder zusätzliche Präventivbedürfnisse angenommen werden. Was heute aber vielfach zu beobachten ist, sind Verfahren, in denen beispielsweise die Steuerrechtler und namentlich die Finanzgerichte Steuernachforderungen aufgrund bestimmter Rechtsauffassungen der Finanzverwaltung skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, Steuerfahnder und Staatsanwälte aber auf der Basis einer abweichenden, dem Anschein nach gerade für die Führung von Strafverfahren und diese ermöglichenden Rechtskonzeption die betroffenen Bürger strafrechtlich verfolgen. Ergebnis sind vielfach Nachzahlungen an den Fiskus, die dieser niemals erhalten hätte, wenn denn Finanzgerichte entschieden hätten. Ähnliches lässt sich aus dem Sozialrecht (Stichwort § 266a StGB) oder aus Teilen des Zivilrechts berichten.

Prägnant gesprochen: am Ende solche Verfahren steht eine Art Ablasshandel. Noch polemischer könnte man sagen, dass höchst zweifelhafte Geldforderungen mit den Mitteln der Strafprozessordnung und unter Instrumentalisierung der Strafverfolgungsbehörden und auch der Strafgerichte eingetrieben werden.

Ob die Beobachtung zutrifft und falls ja, was davon zu halten ist und wohin diese Entwicklung führen kann, stellt aus unserer Sicht derzeit ein, wenn nicht das zentrale Thema des Wirtschaftsstrafrechts und des Steuerstrafrechts dar.

 

Parsch Sauer Nuzinger Rechtsanwälte

Mannheim, 27. April 2019

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